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  • 03.08.2020 | Karriere? Nein, danke!

    Constanze Eich in der Agora 42 – das philosophische Wirtschaftsmagazin

    Die geringe Zahl der Frauen in Spitzenpositionen wird nach wie vor reklamiert, insbesondere in den sogenannten Männerdomänen. Viele Unternehmen bemühen sich heute um Gleichberechtigung bei der Beförderung – und treffen dabei auf ein neues Problem: Immer weniger Arbeitende, egal ob männlich oder weiblich, drängt es in Führungspositionen. Der ursprüngliche Traum einer steilen Karriere vermag die junge Generation nicht wirklich zu begeistern. Was ist hier los?

    „Karriere zu machen“ ist eine Formulierung, mit der sich die junge Generation scheinbar nicht mehr identifizieren kann. Das klassische Bild der Leiter, die man Zeit seines Lebens hinaufklettern sollte, um sich irgendwann im Chefsessel wiederzufinden, setzt bei vielen keine echte Leistungsbereitschaft mehr frei. Im Gegenteil. Es wirkt abschreckend und steht für moderne Sklaverei oder für verstaubte Hierarchien. Der Ruf nach mehr Sinn, mehr Selbstbestimmung, mehr Freiheit, mehr Freizeit, mehr Flexibilität, aber auch mehr Gemeinschaft und Teamgeist wird immer lauter. Viele Unternehmen haben den Ernst der Lage erkannt und eine scheinbar brillante Lösung gefunden: Flache Hierarchien sind das Versprechen an die jungen Bewerber, um den Arbeitsplatz attraktiv zu machen und eine Wohlfühlatmosphäre zu suggerieren. Doch werden diese Versprechen wirklich eingelöst oder sitzen wir alle einem großen Karriereirrtum auf? Denn gerade die Unternehmen, die am lautesten das Modell der flachen Hierarchie propagieren, sind oft der Inbegriff patriarchaler beziehungsweise pyramidaler Organisation.

    Freiwillige vor …

    Eigentlich ist die Idee der flachen Hierarchie ganz hervorragend, denn sie sollte den unkomplizierten Weg in die verantwortlichen Rollen und damit in die Führung ermöglichen, sei es von Projekten, Abteilungen oder Fachgruppen – ohne die klassischen Machtkämpfe und ohne vorgeschriebene Hierarchiestufen erklimmen zu müssen, bevor man Verantwortung übernehmen darf. Jeder darf, wenn er denn will. Und schließlich greift dann doch wieder ein altes Prinzip: Nur wenige wollen. Einige wenige greifen zielstrebig nach den interessanten Rollen und Positionen im Unternehmen.

    Sie machen dann doch wieder Karriere. Und das sind oft genau die Menschen, die das sogenannte Alpha-Gen in sich tragen, die ihre Erfüllung in sozialem Status sehen, die nach Fortschritt und Entwicklung streben, die sich irgendwo „oben“ sehen und somit ihr Berufsleben aktiv in die Hand nehmen. Denn Karrieren passieren nicht einfach. Schon gar nicht in der Gruppe. Man muss sie sich holen, die attraktive Position, man muss um sie kämpfen und zwar als Individuum. Das heißt, es gehört ein bisschen Ehrgeiz dazu. Karriere ohne Wettbewerb scheint nicht möglich zu sein. Karriere ohne Chance auf Aufstieg und Abgrenzung nach unten ebenso wenig. Und die Bereitschaft zur Führung oder der Wunsch nach Verantwortung stellt sich nicht bei jedem gleichermaßen ein. Im Gegenteil, einige Menschen trauen sich die Führungsverantwortung schlichtweg nicht zu, oft unberechtigterweise. An dieser Stelle darf auch eine Auffälligkeit zwischen den Geschlechtern erwähnt werden: Nach wie vor sind Männer eher als Frauen bereit, sich einer herausfordernden Führungsaufgabe zu stellen, und bewerben sich mit einem größeren Selbstbewusstsein. Frauen zögern oft, weil sie glauben, für die bevorstehende Aufgabe noch nicht gut genug ausgebildet zu sein.

    Doch wir brauchen Menschen, die Verantwortung übernehmen! Wir brauchen Menschen, die Lust haben, sich sprichwörtlich in den Wind zu stellen. Wir brauchen Menschen, Frauen wie Männer mit Wettbewerbsgeist und Ehrgeiz. Wir brauchen Frauen und Männer in Führung und Verantwortung. Also: Wie können wir dem Bedürfnis nach mehr Gemeinschaft und weniger Hierarchie bei gleichzeitiger Begeisterung für mehr Verantwortung Rechnung tragen?

    Die V-Formation

    Die Lösung könnte einem Phänomen der Natur entlehnt werden; um genau zu sein einem Phänomen, das sich am Himmel oder über dem Wasser beobachten lässt: Vogelschwärmen. Viele Vogelarten wie Stare oder Watvögel fliegen in großen, dichten, Tausenden von Individuen umfassenden Schwärmen. Die Schwarmbildung dient der Nahrungssuche, dem Aufsuchen eines Schlafplatzes und vor allem der Sicherheit. Gemeinsam können all diese Aufgaben besser bewältigt und Angreifer effektiv abgewehrt werden. Besonders interessant sind aber die Flugformationen, die sich beim Vogelzug beobachten lassen; insbesondere beim Vogelzug über dem Wasser. Kleine und mittlere Vogelgruppen wie Gänse und Kraniche fliegen meist in V-Formation nah über der Wasseroberfläche. Die Vögel fliegen versetzt hintereinander, um von der Verringerung des Luftwiderstandes zu profitieren. Somit können längere Strecken bewältigt werden. Das Besondere ist, dass in regelmäßigen Abständen der Leitvogel an der Spitze ausgewechselt wird. So wird die physische Beanspruchung des Leitvogels gleichmäßig auf viele bis alle Mitglieder des Schwarms verteilt.

    Was, wenn wir unsere Karrieren an diesem Phänomen ausrichten würden? Stellen wir uns vor, wir würden gleich zu Beginn unserer Berufstätigkeit dieses System des Führungswechsels in unseren Teams erleben. In regelmäßigen Abständen würde also ein anderer die Führung im Team übernehmen, vielleicht projektabhängig, vielleicht in einem halbjährlichen Turnus. Der Vorteil bestünde darin, dass jeder, ob er will oder nicht, ob er sich für geeignet hält oder nicht, die gleiche Herausforderung bewältigen muss. Das hätte zur Folge, dass man in der Führungsaufgabe die Chance bekommt, sich zu erproben. Dass man den Umgang mit Verantwortung für Inhalte, vor allem aber für Menschen und Gemeinschaften erlernt und ein Gespür für die tatsächlichen Anforderungen an ein funktionierendes Team entwickelt. Ebenso bestünde die Möglichkeit, mit dieser Aufgabe auch verborgene Talente zu entdecken. Gelingt die Führung, so wird der Leader mit positivem Feedback belohnt und damit in seinem Tun bestärkt. Misslingt die Führung, so ist die Gemeinschaft gefordert, dem Leader Anhaltspunkte zur Verbesserung seiner Führungsleistung zu geben. Jeder ist angehalten, sich mit der Qualität der Führungsleistung auseinanderzusetzen und zwar nicht nur in Form der Beschwerde. Denn in der nächsten Runde muss man ja womöglich selber in den Wind. Ebenso kann sich der aktuelle Leader an der Performance seiner Vorgänger orientieren, die besten Verhaltensweisen kopieren, sich gegebenenfalls Rat bei ihnen holen. Damit würde sich die Qualität der Führung kontinuierlich verbessern.

    Wir brauchen Menschen, die Lust haben, sich sprichwörtlich in den Wind zu stellen.
    Genau wie in der V-Formation der Zugvögel: Jeder steht mal im Wind, aber eben nicht immer.

    Gerüste statt Leitern!

    Mit Sicherheit wird es bei einem solchen rotierenden System immer mehr und weniger gut geeignete Führungspersönlichkeiten geben. Doch im Ergebnis bringen wir die Menschen in Verantwortung, brennen sie aber nicht aus. Wir kommen dem Wunsch nach Aufstieg nach, machen aber den Abstieg wieder salonfähig. Wir bilden Fähigkeiten aus, die der Führungsfertigkeit, aber auch dem Gemeinsinn dienen. Wir fördern Persönlichkeiten und lassen nicht zu, dass immer die gleichen das Ruder übernehmen – zum Beispiel vorzugsweise Männer oder diejenigen, die pfeilschnell nach der Macht greifen, auch wenn sie nicht die richtigen Fähigkeiten dafür mitbringen. Gleichzeitig schaffen wir gute Rahmenbedingungen für Auszeiten, Elternzeiten und Ruhephasen. Eben genau wie in der V-Formation der Zugvögel. Jeder steht mal im Wind, aber eben nicht immer. Und jeder könnte durch diese Erfahrung Rückenwind für neue Aufgaben und Herausforderungen bekommen.

    Natürlich kann dieses Prinzip nicht für alle Führungsrollen gelten. Ein permanenter Wechsel an der Unternehmensspitze beispielsweise würde mit Sicherheit für viel Unruhe und Diskontinuität sorgen. Doch was spricht dagegen, in den unteren und mittleren Führungsebenen der Unternehmen oder auch nur in einzelnen Teams dieses Prinzip zu etablieren? Agile Unternehmen machen das in gewisser Weise bereits vor, insbesondere wenn es um Entscheidungsprozesse und das Teilen von Verantwortung geht. Es geht darum, Mitarbeiter zur Selbstständigkeit zu befähigen.

    Würden wir nun auch gezielt an der Führungsfähigkeit arbeiten, zum Beispiel durch eine Führungsrotation, würden sich ganz neue Chancen für zukünftige Verantwortungsträger ergeben. Denn wer frühzeitig das Führen gelernt hat, wer keine Angst mehr vor der Verantwortung oder im besten Fall sogar Freude an der Verantwortung gefunden und wer Ermutigung und Coaching durch sein Team erfahren hat, der wird auch den Begriff der Karriere neu denken.

    Natürlich würde das für die Unternehmen auch bedeuten, ihre Teams für diese Führungswechsel auszubilden, sie quasi für den Prozess zu befähigen. Doch der Nutzen liegt auf der Hand: mehr potenzielle Verantwortungsträger, höhere Kompetenz in Bezug auf gute Führung, mehr Feedback und Coaching die Führungsaufgabe betreffend. Vielleicht werden dadurch ganz andere Persönlichkeiten in die Unternehmensführung gelangen, Frauen und Männer, die andere Kriterien und andere Systeme befürworten; Frauen und Männer, die aneinander und miteinander gewachsen sind und die schließlich an der Spitze der Unternehmen ein großes Vertrauen genießen, weil man sie gemeinschaftlich dorthin begleitet hat und sie deshalb auch als geeignet für diese Position betrachtet.

    Sicherlich werden wir immer noch die Tendenz haben, dass es bestimmte Persönlichkeitstypen, vielleicht sogar immer noch eher männliche als weibliche, in diese Rollen drängt. Doch eines wäre geschafft: Die Karriereleiter wäre durch ein Karriere-Klettergerüst ersetzt worden, das sowohl dem Wunsch nach Gemeinschaft und individueller Entwicklung als auch der Notwendigkeit von Führung und der Übernahme von Verantwortung Rechnung trägt. Ein Klettergerüst, das Lust auf Chancen macht, das bestimmte Fähigkeiten herausformt, das individuelle Lebensphasen und Bedürfnisse berücksichtigt sowie auch den Rücktritt oder gar ein Scheitern inkludiert; das aber im nächsten Schritt zulässt, sich wieder kraftvoll an die Spitze zu stellen, um anderen ein gemeinschaftliches Fliegen im Windschatten zu ermöglichen.

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  • 29.07.2020 | Flexibel? – Aber bitte mit Sinn!

    Constanze Eich in der Agora 42 – das philosophische Wirtschaftsmagazin

    In Zeiten großer Veränderung sei es sinnvoll, flexibel zu bleiben: Generelle Anpassungsfähigkeit, Offenheit für Neues und innere Wandlungsfähigkeit sollen die Arbeitstauglichkeit und damit die eigene Existenz sichern. Wie aber sollen sich aus dieser haltlosen Haltung heraus sinnvolle Zukunftsaussichten ergeben?

    Unbestritten. Wir stecken in einer Krise. Und das ziemlich tief. Wir stecken als Gesellschaft, als Weltgemeinschaft, vor allem aber als Individuen in der Krise. Unser Koordinatensystem vaporisiert. Verlässlichkeit, Dauerhaftigkeit und Verbindlichkeit, die vielleicht von jeher eine menschliche Illusion waren, lassen sich nicht länger weiterträumen. Vieles wird nur noch schneller, agiler, komplexer, globaler, vernetzter. Keiner weiß so recht, wohin es mit uns allen und der Welt gehen soll. Wir sind orientierungslos. Und wir haben keine Zeit, denn wir müssen ja an unserer eigenen Selbstoptimierung arbeiten. Es ist, als hätten wir die Kontrolle verloren. Nicht der Mensch kann noch verändern, sondern die Veränderungen haben den Menschen im Griff. Das Paradoxe ist, dass große, echte Reformen nicht mehr möglich scheinen, man aber gleichzeitig innerhalb der bestehenden Strukturen sich permanent neu erfinden will und muss. Oder anders gesagt: Wir befinden uns in einer Art Dornröschenschlaf bei gleichzeitiger Hyperaktivität. Wir resignieren im Großen und taumeln im Kleinen. Was uns fehlt, ist der übergeordnete Sinn, die große gemeinsame Erzählung, an die wir glauben können und für die es sich lohnt, aus dem 100-jährigen Schlaf aufzuwachen.

    Gemeinschaft und Individuum

    Die Frage ist also, wo ist sie hin, die große gemeinsame Erzählung? Die Antwort ist auf den ersten Blick recht einleuchtend. Wir haben sie gegen die Freiheit der individuellen Sinnfindung eingetauscht. Das moderne Individuum hat in fast allem die Wahl. Es wählt seine politische und sexuelle Orientierung. Es wählt seine Identität. Und verwirft sie wieder. Allein in der ersten großen Lebensentscheidung, welche Ausbildung, welches Studium, welchen Beruf wir anstreben, kann das Individuum unter zahllosen Angeboten auswählen und sich in dieser Wahlfreiheit verlieren. Jeden Tag sprießen neue Berufsbezeichnungen oder Studiengänge wie Pilze aus dem Boden. Das Gleiche gilt für die Varianten der Lebensführung. Selbst die Religion kann man sich heute selbst basteln und nach je akutem Glaubensbedarf zusammenstellen. Jeder ist schließlich seines eigenen Glückes Schmied. Doch wie schmiedet man sein Glück in einer sich permanent wandelnden Welt? Wie erschafft man ein kohärentes Selbstbild, das trägt? Wirklich leicht fällt das kaum jemandem. Die Fragen nach der eigenen Existenz, dem Ziel oder dem Sinn sind angesichts der zahlreichen Antworten nicht endgültig beantwortbar.

    Seid flexibel!

    Und doch scheint es eine Lösung zu geben, welche dieser Vielfalt Rechnung trägt. Eine Zauberformel, einen Imperativ, der uns erlösen und einen neuen Horizont weisen soll. Dieser Imperativ lautet: Seid flexibel! Die Ansage der Stunde ist nämlich: „Wer bewusst vielerlei Erfahrungen sammelt und sich ein reichhaltiges Repertoire an verschiedenen Verhaltensweisen zurechtlegt, der ist in der Lage, sich an die Erfordernisse jeglicher denkbaren Situation anzupassen.“ Im ersten Moment atmet man auf und stimmt zu. Natürlich müssen wir anpassungsfähig bleiben. Natürlich wollen wir uns entwickeln. Natürlich wollen wir offen sein für Neues. Der Mensch ist biologisch betrachtet von jeher ein Anpassungswunder – allerdings ist er dabei nicht der Schnellste. Ist daher die angebotene Lösung, um jeden Preis flexibel zu sein, vielleicht ein Trugschluss? Die beschleunigte Welt pervertiert ja geradezu unsere Fähigkeit zur Anpassung. Wo genau liegt der Sinn in einer künstlich trainierten Anpassungsfähigkeit, die keinem klaren Ziel folgt, sondern nur dem schlichten Überleben dient? Entfremden wir uns nicht noch mehr von uns selbst, wenn wir die Flexibilität zum Allheilmittel stilisieren? Flattern wir dann nicht wie die Fähnchen im Wind?

    Grenzen der Flexibilität

    Vielleicht können wir durch flexibleres Verhalten besser funktionieren: Schneller wieder auf die Füße kommen, wenn es uns an Halt oder Richtung fehlt. „Seid also nicht zu verkrampft! Wer flexibel ist, ist besser dran.“ Aber führt diese absolut gedachte Form der Flexibilität nicht noch tiefer in die Krise hinein? Lässt sie die Leere in uns nicht noch deutlicher zu Tage treten, selbst wenn wir sie durch den lärmenden Alltag hindurch nicht hören können? Flexibilität setzt voraus, dass wir die eigene Biografie nicht kohärent, sondern bruchstückhaft, aus unterschiedlichsten Erfahrungen, zusammensetzen. Letztlich führt uns dieses Flexibilitätstraining allerdings weiter weg von dem, was uns in unserer Existenz stärkt. Echte Brüche in der Biografie sind meist tiefe Einschnitte, die die eigene Existenz ins Wanken bringen. Identität oder gar Sinnhaftigkeit bildet sich nicht durch ein Training an Flexibilität heraus. Identität ist an kein äußerlich vorgegebenes Ziel gebunden. Sie nährt sich aus unserem Selbstverständnis und unserer inneren Bestimmung, für die wir lediglich ein Bewusstsein entwickeln müssen.

    Die kleine große Sache

    Vielleicht muss der Imperativ deshalb lauten: Widmet euch einer großen Sache! Allein die Überlegung, was das denn sein könnte, ist sinnstiftender als alles andere. Außerdem setzt sie voraus, dass wir bewusst innehalten! Das kurze Aussteigen aus dem Hamsterrad hat nicht nur den Vorteil, die eigene Lebenssituation zu überdenken. Das Innehalten kann wie eine Atempause in der atemlosen Zeit sein, in der wir leben. Ökonomisch betrachtet ist der Müßiggang wie auch das Nichtstun schädlich. Doch gerade dann, wenn wir uns augenscheinlich unproduktiv verhalten, handeln wir ganz unbewusst völlig sinnvoll. Denn gerade in diesen Augenblicken der Atempause arbeitet unsere Kreativität. Erst die Nicht-Beschäftigung oder die Beschäftigung mit dem anderen bringt die tatsächliche geistige Erholung und ist Voraussetzung dafür, dass wir sinnvolle von sinnloser Produktivität unterscheiden können. Das gilt ebenso im übergeordneten Sinn: Eine Gesellschaft, die sich immer nur um das Gleiche dreht, ist eine Gesellschaft, die sich keine Atempausen und keine Freiräume für kreatives Nachdenken gönnt. Freiräume zu schaffen, die nicht nur Selbstzweck oder Feigenblätter sind, erfordern Mut, aber auch Handlungsbereitschaft. So können aus einem Innehalten Taten folgen, die einer großen Sache dienen.

    Der Dialog

    Doch was bringt es, wenn man für sich die große Sache gefunden hat? Läuft man nicht Gefahr, sich zu verrennen, wenn man seine Flexibilität zugunsten einer „großen Sache“ aufgibt? Einer Sache, die einen zwangsläufig festlegt? Tatsächlich muss dem Verschreiben einer großen Sache ein weiterer Imperativ zur Seite gestellt werden: Sucht den Dialog! Das klingt zunächst absurd, denn wir haben nie zuvor mehr kommuniziert als heute. Die tägliche Multikommunikation ist ja gerade das, was uns erschöpft. Aber vielleicht ist es an der Zeit, dass wir, die wir im Kommunikationszeitalter leben, wieder lernen, schlicht miteinander zu sprechen. Nur im bewusst geführten Dialog, in der vollen Aufmerksamkeit auf den anderen kann sich das ICH am DU erholen, Gedanken zu Ende denken und neue Impulse einholen. Und wo, wenn nicht in einem solchen Dialog, werden Empathie und Aufmerksamkeit geschult? Beides sind Fähigkeiten, die unsere Existenz bereichern und uns als Menschen wieder menschlicher machen. Die zunehmende Individualisierung hat nicht nur zum Verlust des Individuums geführt, sie hat auch die Fähigkeit zum Dialog in den Hintergrund treten lassen.

    Echter Dialog öffnet sich für den anderen, vielleicht auch für das Fremde an ihm und in uns und ermöglicht im selben Zug von Erfahrungen anderer zu lernen. Entscheidend für die Sinn-Erfahrung ist der zwischenmenschliche Kontakt, die Konzentration auf ein Gegenüber, das Gemeinschaft stiftet und Entfremdung auflöst. Das große dauerhafte WIR-Gefühl, nach dem wir uns so sehnen, wird es vielleicht nicht geben, doch der echte Dialog bricht die Vereinzelung der Menschen wieder auf und lässt Gemeinschaft zu. Die Art, wie wir einander begegnen wollen, kann also gleichsam fester Bestandteil unseres Selbstbildes und damit sinn- und identitätsstiftend sein.

    Unbestritten. Wir stecken bis zum Hals in der Krise. Doch es gibt immer Hoffnung. Beginnen wir damit, uns wieder neu die Frage nach unserer eigenen Existenz zu stellen: Wer bin ich? Wohin will ich? Was ist meine Bestimmung? Nur wenn wir uns diese Fragen bewusst stellen, uns selbst wieder ernst nehmen, können Antworten entstehen, aus denen wir sinnvolle Ziele entwickeln und Richtungsentscheidungen mutig treffen können. Erst unter diesen Voraussetzungen entfaltet die Flexibilität ihre Wirksamkeit, weil wir damit auf Veränderungen wirkungsvoll reagieren, neue Impulse integrieren und Widerstände überwinden können. Wahre Flexibilität setzt voraus, dass man in entscheidenden Momenten auch standhaft sein kann. So können wir die Kontrolle über uns selbst zurückgewinnen und uns nicht mehr von den Wellen unserer Zeit hin- und herwerfen lassen.

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  • 29.07.2020 | Einfach leben – oder was wollt ihr?

    Constanze Eich in der Agora 42 – das philosophische Wirtschaftsmagazin

    Wie schön wäre es, einfach zu leben, mit leichtem Gepäck, konkret und unmittelbar. Aber gibt es das einfache Leben wirklich? Verbirgt sich hinter dem „Simplify-your-life“ nur ein rentables Marketingkonzept? Und wer meint es wirklich ernst mit dem einfachen Leben? Klar ist: Es ist nicht so einfach, einfach zu leben.

    Heute leben wir in einer Gesellschaft !, die sich mit den Herausforderungen der Globalisierung auseinandersetzen muss. Hinzu kommen politische Unsicherheiten, ökologische Bedrohungen, ökonomische Krisen und soziale Konflikte, die uns zwar häufig nur indirekt über die Medien tangieren, jedoch zum allgemeinen Unbehagen beitragen. Weil all dies wenig greifbar bleibt, wird es zur diffusen Bedrohung und nährt die Sehnsucht nach dem einfachen Leben. Eskapismusgedanken und die romantische Überhöhung der Natur sind die Folge: Erdbeeren im eigenen Gartenpflanzen, sie ernten, daraus köstlich duftende Marmelade kochen, Holz hacken für den heimischen Kachelofen, die Wohnung entrümpeln und nur noch mit dem leben, was man wirklich braucht, die Ruhe der Natur genießen, den lauten, hektischen Alltag hinter sich lassen – das einfache Leben klingt wie ein Heilsversprechen in einer urbanen, „hyperkomplexen“ Welt, die dem Individuum immer mehr abverlangt.

    Ist Einfachheit käuflich?

    Im Grunde aber macht den Menschen das Zuviel zu schaffen: zu viel Arbeit, zu viel Kommunikation, zu viel Konsum, zu viele Möglichkeiten, zu viel gleichzeitig, zu viel von allem. Wir befürchten, in den Luxus-Zwängen, die die postmoderne Gesellschaft! uns auferlegt, ersticken zu müssen und der Maschinerie des Kapitalismus nur mit Revolte begegnen zu können. Und genau hier beginnen wir, uns in eigenartige Widersprüche zu verstricken und selbst Stereotype zu erschaffen: Zwar streben wir nach der Einfachheit, wünschen uns nichts mehr, als dem Konsumterror ein Schnippchen zu schlagen, doch beim genauen Hinsehen werden aus jenen Einfachheitsbestrebungen nur andere, neue Konsumoptionen geschaffen, die die Wirtschaft! nach Herzenslust auskostet. Die wenigsten meinen es richtig ernst mit dem einfachen Leben. Selten geht es darum, auf neue Medien, Smartphone, Internet oder Fernsehen zu verzichten. Außer vielleicht in der Fastenzeit wird an liebgewonnenen Konsum- und Luxusgütern festgehalten. Die Beschränkung auf das Einfache, Ursprüngliche oder Unkomplizierte ist eben nicht etwa einfach, wie man meinen sollte, es erfordert erhebliche Anstrengungen und Entbehrungen.

    Zudem profitiert die Wirtschaft von unseren Sehnsüchten, nährt sie und bedient sie, was dazu führt, dass das einfache Leben nur mittels bestimmter Investitionen erreichbar scheint. So ist es kein Wunder, dass der Suchende nach dem einfachen Leben zunächst die passende Lektüre braucht: Einfach leben in 10 Schritten, Simplify your life, … your love, … your time, … your work oder Minimalismus für Dummies. Dann braucht man allerhand neue Geräte und Tools, um wirklich einfach leben oder gar überleben zu können: Outdoorläden schießen überall wie Pilze aus dem Boden und bieten das angemessene Equipment für das einfache Leben feil. Schließlich will man ja in die Natur. Die Berge, einst ein Ort der Stille und Einsamkeit, werden zum Erlebnispark für Wochenendeskapisten und einfache Berghütten avancieren zu Luxusherbergen. Bis an die Zähne ausgerüstete Städter, die in ihrem normalen Leben Highperformer in erfolgreichen Wirtschaftsunternehmen sind, kämpfen sich über massentauglich ausgebaute Klettersteige und schwärmen hernach von einzigartigen Selbsterfahrungen mit sich in der Natur. Man investiert in Fahrräder mit Elektroantrieben, die teurer sind als so manches gebrauchtes Auto, kaufen in der Mittagspause völlig überteuerte Stullen oder Suppen, wie Muttern sie einst zubereitete, erfreuen uns an den vielen ökologisch anmutenden Produkten, die uns die Nähe zur Natur vorgaukeln und uns das Gefühl vermitteln, dem kapitalistischen Massenkonsum wirkungsvoll zu entgehen. Zuhause wird dann vielleicht noch ausgemistet und – statt das „Weniger“ zu genießen – in neues Mobiliar investiert, gerne auch von nachhaltigen Designern. Und wenn es in den Urlaub geht, dann sollte es schon der alte VW-Bus sein, mit dem man unerschlossene Gefilde in Kroatien oder Norwegen erkundet, natürlich nicht ohne die neue digitale Spiegelreflexkamera im Gepäck, mit der man eindrucksvoll das einfache Leben dokumentiert und dank WLAN-vernetztem Smartphone alle Facebook-Freunde daran teilhaben lässt. Oder aber man bucht einen Retreat im Zen-Kloster mit Relaxprogramm, Workshops und Vorträgen darüber, wie man am leichtesten aus dem Hamsterrad aussteigen kann.

    Es drängt sich der Verdacht auf, dass das einfache Leben womöglich einfach nur ein weiterer Lifestyle geworden ist. Zwar geht es den Simplifizierern um Abgrenzung von den Konsumjunkies, die völlig unreflektiert, ja geradezu egoistisch „einfach leben“, sich keine Gedanken über Achtsamkeit, Nachhaltigkeit oder Gemeinwohl machen und stattdessen ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit in die Bettenburgen nach Mallorca fliegen, beim Billig-Discounter Unmengen abgepackter Produkte kaufen, die Massentierhaltung durch das Verschlingen von XXL-Schnitzeln unterstützen und unsere Umwelt zerstören. Doch umgekehrt könnte das einfache Leben auch nur als hedonistischer Trend der Hipster oder als zur Schau getragener Individualismus interpretiert werden, der zu mehr sozialer Anerkennung, Aufmerksamkeit oder zu einem temporären neuen Ich führen soll.

    Die Paradoxien der Einfachheit

    Der Rückzug in die Einfachheit, wenn auch nur kurzfristig, und die damit einhergehende Besinnung auf sich und das Wesentliche ist seit jeher ein Thema insbesondere der Dichter und Denker. Sehr eindrucksvoll beschreibt zum Beispiel der Philosoph Henry David Thoreau im 19. Jahrhundert in seinem Werk Walden oder Leben in den Wäldern seinen Rückzug in die Einfachheit. In einer selbstgebauten Hütte am Waldensee suchte er zwei Jahre lang nach einer Antwort auf die Frage: Wie soll ich und wie will ich leben? Interessanterweise war das einfache Leben ein ökonomischer Reinfall, wie der Autor selber konstatiert. Einer seiner Bekannten, der Land geerbt hatte, schrieb an ihn, so Thoreau, „er würde gerne so leben wie ich, wenn er die Mittel dazu hätte.“ Auch Mahatma Gandhi hat insbesondere in seiner zweiten Lebenshälfte ein Leben in totaler Einfachheit geführt. Die Dichterin und Gandhis Nachfolgerin als Präsidentin des Indischen Kongresses, Sarojini Naidu, hatte sich über die Lebensweise des berühmten Asketen folgendermaßen geäußert: „Es kostet das Land ein Vermögen, Gandhi ein Leben in Armut zu ermöglichen.“ Ohne die großzügige Unterstützung von mächtigen Industriellen wie Ghanshyam Das Birla hätte es wohl kaum die geschützten Meditationsräume, die Ashrams, gegeben. Ebenso muss viel Geld aufgebracht werden, um Papst Franziskus ein Leben in Einfachheit zu ermöglichen. Ist also das einfache Leben purer Luxus oder am Ende nur ein Hirngespinst, eine Utopie?

    So paradox die Überlegungen über das einfache Lebens auch anmuten mögen, sie haben alle den gleichen Ausgangspunkt, nämlich die Frage des Menschen nach einem guten und glücklichen Leben. Diese Frage ist so alt, wie die Menschheit selbst. Sie wird zur Triebfeder für die Reflektion über das eigene Dasein und gleichsam zu einem unendlichen Gestaltungsraum. Wir sind dem Alltag und dem Zuviel darin nicht passiv ausgesetzt, sondern können aktiv formgebend in ihn eingreifen. Allein der Entschluss, die eigenen Lebensgewohnheiten zu überprüfen oder sie bereits mit einem neuen Ziel, zum Beispiel einfacher zu leben, zu verändern, macht uns zu mündigen Menschen, gibt unserem Dasein eine Form und bringt uns im Leben vorwärts. Wir werden zu Gestaltern. Der Philosoph Wilhelm Schmid schreibt dazu: „Die Ethik des Umgangs mit sich sollte (…) kunstvoll, das heißt durchdacht und gestaltet, nicht kunstlos, also unüberlegt und zufällig sein.“ In Bezug auf das Zuviel in unserem Leben schreibt er weiter: „Ein Selbst, das sich selbst zu sehr verliert, ist zu keinerlei Aufmerksamkeit mehr fähig, weder für sich noch für andere.“ Somit wird klar, warum das einfache Leben nicht nur als neues Lebenskonzept funktioniert, sondern als existenzielles Bedürfnis aus einem Mangel an gesunder Aufmerksamkeit, sprich aus einem zivilisatorischen Leiden heraus entsteht.

    Echt einfach

    Wer es also wirklich ernst meint mit dem einfachen Leben, der wird sicher kein Buch dazu brauchen, keinen Smoothiemaker für die einfache, gesunde Ernährung und auch kein Simplifizierungsseminar. Wer es ernst meint, hat es im Grunde einfach: Er muss nur den Gegensatz von dem finden, was ihn belastet oder was ihm zu viel wird, um seine Handlungsmöglichkeiten auszuloten. Er muss also die Balance herstellen, indem er die vermeintlichen Paradoxien nicht als unversöhnbare Konkurrenten oder absurde Konstrukte wahrnimmt, sondern sie als das begreift, was sie sind: als Teil unseres Lebens und vielleicht auch größte Herausforderung unseres Daseins. Durch das Nachdenken über diese Paradoxien des Lebens entwickeln wir eine Haltung zu den Dingen. Wir positionieren uns und können deshalb selbst entscheiden und gestalten.

    Die Suche nach dem guten Leben mag dabei nach Sisyphusarbeit aussehen, weil wir immer wieder von vorne beginnen und dabei die Welt als undurchdringbar und sinnlos wahrnehmen. Doch ist es nicht gerade diese absurde Tatsache, die uns ermutigen sollte, genau jene Suche mit ihrem Scheitern und ihrem wiederkehrenden Neubeginn als wertvolle Lebensaufgabe wahrzunehmen und zu akzeptieren? „Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen“, sagte einst Albert Camus – wobei das Leben des Sisyphos bei ihm für das Leben des Menschen stand. Er sucht vergeblich nach einem Sinn, kann aber die ewig gleichen Handlungsabfolgen hinnehmen und damit ein Stück weit seine Freiheit zurückerobern. Freiheit heißt bei Camus also, über Revolte gegen die Sinnlosigkeit zu einer Akzeptanz zu finden und das Leben anzunehmen, wie es ist. Und diese Akzeptanz bedeutet nicht, wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen und darauf zu warten, gefressen zu werden. Vielmehr können wir unterscheiden lernen, welche Gegebenheiten wir schlichtweg akzeptieren müssen und in welchen Fällen wir die Entscheidungsgewalt haben. Und wir werden erstaunt sein, wie viel wir entscheiden können, wenn wir nur wollen.

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  • 20.06.2018 | Keine Angst vor Männerdomänen

    Constanze Eich schreibt im Ahead-Magazin von Gleiss Lutz

    Frauen im Business sind glücklicherweise keine Seltenheit mehr. Selbst in Großkanzleien gibt es immer mehr Partnerinnen und weibliche Führungskräfte. Der Zeitgeist und ein gutes Selbstmarketing machen es möglich.

    Dabei fällt auf, dass viele Frauen gerade in Hochleistungsorganisationen viel Energie in ihre sogenannte Selbstoptimierung stecken. Gerade im Vergleich zu männlichen Kollegen ist dieses Streben nach Perfektion wesentlich ausgeprägter, was allerdings auch einen großen Nachteil mit sich bringt: Der permanente Drang, alles richtig zu machen, um erfolgreich zu sein, ist extrem aufreibend und anstrengend. Daher ist mein wichtigster Tipp für Frauen, die Karriere machen wollen, dass sie im Job viel strategischer agieren sollten, um ihre Kräfte sinnvoll einzuteilen. Die Vorstellung, überall im Superwoman-Kostüm aufzutreten, ist erschöpfend und auf lange Sicht auch nicht durchzuhalten, insbesondere, wenn zur Berufstätigkeit noch Familie dazukommt.

    Entscheidend ist, dass wir erkennen, in welchen Situationen es wichtig ist, sich einzubringen und Energie zu investieren. Dazu sollten wir das Spielfeld der Macht kennen, auf dem wir uns bewegen. Wer sind die Entscheider? Wem gegen über muss ich meine Kompetenzen sichtbar machen? In welcher Rolle agiere ich? Je genauer man dieses Spielfeld kennt, desto leichter kann man sich positionieren und entsprechend kommunizieren. Gerade in der Kommunikation werden immer noch viele Fehler gemacht. Füllworte wie „eigentlich“ oder „vielleicht“ sollten durch eindeutige, selbstsicherere Formulierungen wie „es ist sinnvoll, dass…“ ersetzt werden. Ein weiterer Fauxpas ist, sich aus Bescheidenheit oder falschem Respekt nicht zu Wort zu melden. Gerade in Telefonkonferenzen oder Teammeetings ist es wichtig, sich zumindest durch kurze Beiträge sichtbar zu machen. Es gilt die Regel: Wer nichts sagt, war nicht dabei. Das müssen keine ausgeklügelten Gedanken sein. Hier können wir übrigens von den Männern lernen: Bereits Gesagtes ohne Scham und Scheu wiederholen oder ergänzen, vermeintliche Fleißaufgaben als nutzenbringende Leistungen zur Professionalisierung der täglichen Arbeit verkaufen oder die eigenen Arbeitsergebnisse ergebnisorientiert und selbst sicher (gerne auch mit einigen ausschmückenden Attributen) vor tragen – es gibt zahlreiche Möglichkeiten mit wenig Aufwand für Visibilität zu sorgen. Wichtig ist auch, für jede Rolle, die man innehat, eine angemessene Kommunikation zu finden. Man kann sich nicht immer gleich verhalten. Im Gespräch mit dem Mandanten müssen Beraterkompetenzen sichtbar werden, auch wenn man dem Mandanten als Berufseinsteiger entgegentritt. Das Feedbackgespräch mit einem Referendar hingegen sollte eher Mentoren- und Ausbilderqualitäten kennzeichnen.

    Grundsätzlich rate ich dazu, bei allen beruflichen Herausforderungen eine gewisse Spielfreude an den Tag zu legen und den Mut zu haben, Dinge auszuprobieren, insbesondere in der Kommunikation. Wenn einem zum Beispiel angetragen wird, mehr Verantwortung zu übernehmen oder einen Vortrag zu halten, empfehle ich dringend, einfach Ja zu sagen, ohne die potentiellen Risiken und Selbstzweifel, die mit der jeweiligen Aufgabe einhergehen bereits im Vorfeld en détail auszuloten. Frauen neigen dazu, sich erst solide für die neue Herausforderung rüsten zu wollen, bevor sie sie annehmen. Männer hingegen greifen viel schneller zu. Hauptsache, man hat den Job. Ob man wirklich qualifiziert dafür ist, spielt bei den Überlegungen oft nur eine untergeordnete Rolle.

    Womit eine Frau im Job richtig punkten kann, ist, keine Angst vor Männerdomänen oder hierarchisch übergeordneten Persönlichkeiten zu haben. Entschlossen die eigene Kompetenz und Expertise zu demonstrieren und für den Mandanten aber auch den Partner nutzenorientierte Lösungen und Ideen anzubieten, das imponiert. Und wenn dann noch unternehmerisches Denken hinzukommt, macht Frau sich als Beraterin oder Mitarbeiterin schnell beliebt.

    Vor allem Berufseinsteigerinnen möchte ich ermutigen, frühzeitig in ein stabiles Netzwerk zu investieren, intern wie extern. Karrieren werden nicht nur durch Fleiß und Know-how begünstigt, sondern auch damit, die richtigen Leute zu kennen. Sich innerhalb des eigenen Systems bekannt zu machen, Interesse an anderen (Rechtsgebieten) zu zeigen, aber auch über den eigenen Tellerrand hinaus zu agieren und Erfahrungen zu sammeln, sind wichtige Bausteine für eine gelungene Karriere. Und wenn wir uns dann noch typische weibliche Kommunikationsstereotype in Körpersprache, Stimme und Formulierungen abgewöhnen, dann steht der Frauenpower nichts mehr im Wege. Und das übrigens ohne das Frau-Sein an der Garderobe abgeben zu müssen.

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  • 06.06.2018 | Ein Plädoyer für das Jahresgespräch

    Gastbeitrag von Constanze Eich

    Jahresgespräche haben auch in der Kanzleienwelt längst Einzug gehalten. Was allerdings als wertvolles Management Tool gepriesen und von HR-Abteilungen meist aufwändig installiert wurde, verkommt in den meisten Fällen zum Selbstzweck. Mühsam werden Fragebögen ausgefüllt und abgearbeitet. Es wird Feedback in alle Richtungen gegeben. Der Mitarbeiter soll schließlich wahr- und ernstgenommen werden. Gerade die feedbackhungrige Generation Y fordert von ihren Vorgesetzten immer mehr Rückmeldung ein und wird damit zu einem regelrechten ‚enfant terrible’ in der Arbeitswelt. Denn Feedback kostet Zeit. Und Zeit ist rar. Schließlich steht der Mandant ja im Mittelpunkt des Interesses. Wer um sich selbst kreist, arbeitet nicht profitabel.

    Jahresgespräche – Mindestmaß an formalisierter Kommunikation

    Um aber ein bisschen ‚Mitarbeiter-Management’ walten zu lassen und den Erwartungen der Berufseinsteiger gerecht zu werden, sind Jahresgespräche das Mindestmaß an formalisierter Kommunikation. Zudem soll das Jahresgespräch auch Dreh- und Angelpunkt für Gehaltsverhandlungen und Karriereentwicklung darstellen. Und so schlägt – zumindest in größeren Kanzleien – alle Jahre wieder bei Partnern und Führungskräften die Erinnerungsnachricht aus der HR-Abteilung auf, dass eben dieses Jahresgespräch wieder ansteht. Meist wird dann auf den letzten Drücker ein Termin vereinbart und die lästige Pflicht erfüllt. Dabei sind die von HR-Experten entwickelten Leitfäden für Jahresgespräche oft sehr gut durchdacht und ermöglichen, dass man die allgemeinen Leistungen des Mitarbeiters sinnvoll bewerten und neue Ziele vereinbaren kann. Für viele stellen diese auch das Herzstück für Karriereentwicklung, Gehaltserhöhungen und die Vergabe neuer Verantwortungsbereiche dar. Und auch der Mitarbeiter kann das Jahresgespräch dazu nutzen, eigene Ideen und persönliche Ziele zu formulieren.

    Jahresgespräche – wertvolle Instrumente für die Kanzleientwicklung

    Doch das Jahresgespräch kann noch viel mehr: Wer unternehmerisch denken und handeln möchte, hat mit dem Jahresgespräch ein wertvolles Instrument in der Hand, die Kanzlei voranzubringen und eigene Ziele umzusetzen. Denn die Anwaltspersönlichkeit ist längst nicht mehr nur edler Consigliere, sondern auch Unternehmer in eigener Sache – ob in der Großkanzlei oder in der kleineren Einheit. Und da könnten Jahresgespräche eine echte Schlüsselrolle spielen. Voraussetzung ist, dass der Unternehmeranwalt einen eigenen Plan hat, wohin er mit seiner Kanzlei, seiner Praxisgruppe, seinem Team genau hin möchte. Viel zu selten nimmt man sich im Alltag die Zeit den Kopf aus dem Tagesgeschäft zu strecken. Dabei ist es für beide Seiten wertvoll und gewinnbringend, sich genau diese Zeit zu nehmen. Im formalisierten Jahresgespräch kann man den Mitarbeiter mit der eigenen Strategie vertraut machen, ihn quasi als Multiplikator nutzen, seine Rolle bei der Umsetzung definieren und damit einhergehende Aufgaben und Verantwortlichkeiten ableiten. Auch den Vorschlägen des Mitarbeiters zur Umsetzung dieser Ziele Raum zu geben und sie gemeinsam zu diskutieren, verbindet Vorgesetzten und Mitarbeiter und führt dazu, dass dieser zum selbständigen Denken ermutigt wird und sich dadurch wesentlich stärker mit der eigenen Arbeit identifiziert. Das verpflichtet den Vorgesetzten dazu, sich wirklich über seine strategischen Ziele klarzuwerden und sich auch gründlich auf dieses Gespräch vorzubereiten. Es gilt den Mitarbeiter inhaltlich abzuholen, ihn aber auch für die strategischen Ziele zu begeistern. Die Ziele bezüglich der Kanzleientwicklung oder zur Entwicklung des eigenen Referats müssen zu gemeinsamen Zielen werden.

    Kontinuierliche Umsetzung gefragt

    Damit die strategischen Bemühungen aus dem Jahresgespräch wirklich greifen, muss kontinuierlich an der Umsetzung gearbeitet werden. Das setzt voraus, dass es unterjährig immer wieder Anknüpfungspunkte an das Jahresgespräch geben muss, um den Plan auf dem Schirm zu behalten. In regelmäßigen Abständen sollten die Vereinbarungen wieder in Erinnerung gerufen werden. Im besten Fall sind sie permanent präsent – sowohl bei der Führungskraft, als auch beim Mitarbeiter, auch wenn das mit einem erhöhten Kommunikations- und Zeitaufwand verbunden ist. Doch dieser Aufwand zahlt sich aus, denn so wird aus dem Anwalt nicht nur ein Unternehmer, sondern auch eine echte Führungspersönlichkeit.

    Momente für sinnvolles Feedback im Alltag

    Feedback entfaltet im übrigen auch erst dann seine ganze Kraft, wenn es nicht nur auf die wenigen Augenblicke im Jahresgespräch konzentriert und damit zum Valentinstag für Wertschätzung und Anerkennung wird. Momente für sinnvolles Feedback gibt es im Alltag genug. Sei es nach Beendigung eines Mandates, zur unmittelbaren Bewertung eines Arbeitsergebnisses oder auf Wunsch des Mitarbeiters. Je engmaschiger ein Mitarbeiter Rückmeldung zur Entwicklung seiner Fähigkeiten erfährt, desto schneller können Fortschritte erzielt und Kompetenzen erweitert werden. Im Jahresgespräch hingegen sollte das Feedback nicht nur auf die persönliche Entwicklung abstellen. Hier sollte unbedingt auch eine Rückmeldung im Hinblick auf die strategische Entwicklung der Kanzlei oder der Praxisgruppe erfolgen. Der Beitrag des Mitarbeiters zum Unternehmenserfolg, der im Gespräch sichtbar gemacht wird und die ausgesprochene Wertschätzung dafür, können somit zu wertvollen Motivationsquellen werden, die wesentlich nachhaltiger wirken, als so manche Gehaltserhöhung.

    Constanze Eich ist Expertin für angewandte Rhetorik und strategische Kommunikation. Sie berät mittelständische sowie internationale Unternehmen, Wirtschaftskanzleien und Institutionen in ihrer internen wie externen Kommunikation. Bei C.H.BECK erschienen ist ihr Buch Networking und Akquise für Anwälte.

    (Quelle: beck-shop.de)

  • 01.06.2013 | Sales – unangenehme Pflicht oder Chance?

    Dürfen Zahnärzte Verkäufer sein?

    Diese Frage stellen sich nicht nur Patienten, die ihren Arzt plötzlich wie einen Staubsaugervertreter erleben. Auch die Zahnärzte selber stellen sich diese Frage. Denn Verkaufen hat immer einen unangenehmen Beigeschmack. Und doch ist es unverzichtbar, nicht nur um persönlich zu profitieren, sondern um das Fortbestehen der Praxis zu sichern, Arbeitsplätze zu erhalten und Investitionen zu tätigen. Es wird also Zeit, das Thema „Sales“ nochmals unter die Lupe zu nehmen und Akquisitions- und Vertriebsmethoden auf den Prüfstand zu stellen.

    Verkaufen ist eine höchst subtile und komplexe Angelegenheit. Sie beginnt nicht erst in dem Moment, wenn der Patient auf dem Behandlungsstuhl sitzt und die Frage im Raum steht, welche Art der Zahnsanierung wohl am ehesten in Betracht kommt. Denn gerade in diesen Situationen liegt es nahe, als unliebsamer Verkäufer wahrgenommen zu werden. Schließlich haben wir ja nur wenige Momente mit dem Patienten und müssen in diesen alles geben, was die Verkaufsrhetorik so hergibt. Kein Wunder, dass uns manch ein Patient auf die Schliche kommt oder wir selbst angesichts unseres Verkaufsverhaltens Scham und Verlegenheit fühlen.

    Verkaufen heißt, unternehmerisch zu denken und zu handeln

    Der Trend zu Privatleistungen verlangt dem Unter-nehmer-Zahnarzt schon einiges an Verkaufstalent ab. Er muss nicht nur seine Dienstleistungen und Produk-te an den Mann bringen, sondern auch sich selbst und seine Praxis gut „verkaufen“. Er muss einerseits imstande sein, seinen Patienten eine individuell auf ihre Finanzen zugeschnittene Therapie zu ermöglichen, und darf andererseits seine eigene Praxis als Un-ternehmen nicht vernachlässigen. Das beinhaltet auch, dass der Multiplikator der Privatleistungen sinnvoll festgesetzt wird, um einen gesicherten Fortbe-stand der Praxis zu gewährleisten, und dass Patienten mit Zahlungsschwierigkeiten die Möglichkeit der Ra-tenzahlung oder andere günstigere Varianten, wie die Inanspruchnahme von Auslandszahnlaboren, offenstehen. Wenn also unternehmerisches Geschick eine wichtige Rolle für den Erfolg einer modernen Zahnarztpraxis spielt, dann ist die Fähigkeit verkaufen zu können eine der Kernkompetenzen für unterneh-merisches Handeln und kein Verhalten, für das man sich schämen sollte. Das bedeutet, dass wir unsere eigene Einstellung zum Verkaufen dringend ändern müssen. Verkaufen kann sogar Spaß machen, wenn man es richtig anstellt und alle Beteiligten zufriedenstellt. Also nutzen Sie ruhig die Gelegenheiten, die sich dazu anbieten – ohne schlechtes Gewissen. Doch Achtung: Es könnte sein, dass Sie dazu gelegentlich Ihre Komfortzone verlassen und Neuland betreten müssen. Denn ein guter Verkäufer zu sein ist durch-aus mit einem gewissen Engagement verbunden und auch mit Fleiß und Ausdauer.

    Verkaufen heißt, mit dem Nicht-Verkaufen zu beginnen

    Doch was sind die richtigen Gelegenheiten? Und wie kann man sie sich gezielt schaffen? Ein wichtiger Bestandteil Ihrer Verkaufsstrategie ist Ihr Selbstmarke-ting. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass sich Ihr Image und Ihr guter Ruf schon irgendwie alleine herstellen. Es liegt zu einem großen Anteil in Ihrer Hand, wie Sie von anderen wahrgenommen werden und welche Klientel Sie bedienen. Hier können Sie als Unternehmer-Zahnarzt geschickt nachhelfen und das Nützliche sogar mit dem Angenehmen verbinden, in-dem Sie sich regelmäßig in der Öffentlichkeit zeigen: Ob durch die Mitgliedschaft im Sportverein, Ihr eh-renamtliches Engagement im Wirtschaftsclub oder im Kunstmuseum – es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie Sie sich sichtbar machen können. Auch die Teilnahme an gesellschaftlichen Anlässen trägt dazu bei, dass man Sie kennt. Entscheidend ist, dass Sie da sind, wo sich Ihre Wunschklientel zusammenfindet und Sie mit ihr ins Gespräch kommen. Dabei geht es nicht darum, gleich mit aggressiven Werbeslogans und Verkaufsparolen dem Objekt der Begierde zu Leibe zu rü-cken. Im Gegenteil: Ihr Ziel ist es, mit diesen Men-schen in Kontakt zu treten, das kleine Gespräch zu suchen, das sich Ihnen in der Situation anbietet und das meist gar nichts mit Ihrem Beruf zu tun hat. Denn dieses ist oft der Türöffner für alle weitere Kommunikation. Echtes Interesse am Gegenüber kann dabei von Vorteil für Ihr Verkaufsansinnen sein, denn Menschen haben stets das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Und sie werden sich bei der nächsten Begegnung an Sie erinnern, wenn Sie ihnen dieses Bedürfnis erfüllt haben.

    Verkaufen heißt, im richtigen Moment das Richtige zu sagen

    Doch wie kann Ihr Gesprächspartner, den Sie gerade bei der Premierenfeier im Opernhaus kennengelernt haben, zu einem potenziellen Patienten werden? Hier gilt es nun, geschicktes Selbstmarketing zu betreiben und an geeigneter Stelle im Gespräch Ihre berufliche Expertise einzustreuen. Zum Beispiel, wenn Sie nach Ihrem Beruf gefragt werden und Sie in zwei Sätzen pointiert und gut verständlich Ihre Spezialisierung darstellen. Diese Sätze sollte man sich zurechtlegen, denn allzu oft fallen uns in den entsprechenden Situationen keine wirklich passenden Formulierungen ein, die im Gedächtnis bleiben. Eine andere Möglichkeit ist, bei der Verabschiedung beiläufig zu erwähnen, dass Sie am nächsten Tag eine große Implantat-OP durchführen werden und daher die Veranstaltung schon frühzeitig verlassen müssen. Zwangsläufig werden Sie bei Ihren Gesprächspartnern als „der Zahnarzt“ in Erinnerung bleiben. Und das wird irgendwann dazu führen, dass man Sie auf Ihre Kompetenz hin anspricht. Ganz nach dem Motto: „Sie sind doch Zahnarzt, ich habe da so ein Problem …“.

    Verkaufen heißt, Bedürfnisse zu wecken

    Wenn Sie nun schon beim Thema sind und Ihr Gesprächspartner Sie mit einem Leiden konfrontiert, haben Sie schon fast gewonnen. Aber nur fast. Denn oft machen wir den Fehler, dass wir uns auf den potenziellen Patienten stürzen wie die Piranhas. Hören Sie Ihrem Gesprächspartner erst mal aufmerksam zu und stellen Sie interessierte Nachfragen, die eindeutig darauf hinweisen, dass Sie ein Experte auf Ihrem Gebiet sind. Dann kommt der entscheidende Part: Geben Sie Tipps, wie man mit der Situation am besten umgehen kann und beraten Sie Ihren Gesprächspartner ganz unverbindlich. An dieser Stelle kann man auch ähnliche Fälle zitieren, die Sie in Ihrer Praxis bereits behandelt haben. Das wird bei Ihrem Gesprächspartner zu-nächst den Eindruck von Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit hinterlassen und je weniger aufdringlich Sie ihm Ihre Dienstleitung anbieten, desto größer wird das Bedürfnis werden, diese in Anspruch zu nehmen. Wichtig ist, dass Sie, sobald Ihr Gesprächspartner echtes „Kaufinteresse“ gezeigt hat, die (Er-)Lösung in Aussicht stellen, indem Sie ihm das Angebot unterbreiten, ihm einen schnellen Sondertermin einzuräu-men und sich der Problematik persönlich anzunehmen. Exklusivität und persönliche Beziehungen haben in diesem Zusammenhang eine magische Wirkung.

    Verkaufen heißt, den Patienten wie einen König zu behandeln

    Nun ist es also so weit. Die Bekanntschaft von der Pre-mierenfeier hat den Weg in Ihre Praxis gefunden. Nun kann man gezielt alle Register ziehen, die dem Patien-ten das Gefühl geben, etwas ganz Besonderes zu sein: Eine namentliche Begrüßung am Empfang, vielleicht sogar mit Handschlag und dem Hinweis, dass der Zahnarzt den Patienten bereits angekündigt hat, der freundliche Small Talk, die Begleitung ins Wartezimmer, vielleicht ein kurzer Rundgang durch die Praxis, falls es die Zeit und die Umstände erlauben – Ihr Praxisteam kann hier schon vieles zum ersten gelungenen Eindruck beitragen. Doch interessant wird es natürlich in dem Moment, wenn Ihre Bekanntschaft Sie nun zum ersten Mal in Arbeitskleidung sieht. Ganz in Weiß oder im Praxisstil sind Sie die Autoritätsperson. Das ist per se nicht schlecht, wenn Sie Ihre Position als Chef des Hauses und Fachmann ein wenig demonstrieren, doch sorgen Sie dafür, dass sich Ihr Patient auch schnell entspannen kann. Dazu eignet sich natürlich immer ein kleines privates Gespräch, vielleicht über das Wetter, die Anfahrt oder den Anlass, bei dem man sich kennenlernte. Lassen Sie den Patienten nun auch über sein Leiden sprechen und hören Sie ihm aufmerksam zu. Entscheidend ist, dass der Patient in dieser Situation noch nicht in der Horizontalen liegt. Erst wenn Sie mit der Untersuchung beginnen, bringen Sie den Patienten in Position.

    Verkaufen heißt, den richtigen Ort für das Verkaufsgespräch zu wählen

    Je nach Problemstellung und Umfang der Behand-lung werden Sie Ihren Patienten entweder sofort versorgen oder vor Ort die vorbereitenden Maßnahmen zur weiteren Behandlung treffen, wie zum Beispiel Röntgenbilder bzw. Abdrücke vornehmen. Gerne betrachten wir die Röntgenbilder im Behandlungszim-mer, während der Patient noch oder wieder auf dem Zahnarztstuhl sitzt. Laden Sie Ihren Patienten gerne dazu ein, im Stehen oder im aufrechten Sitzen mit auf das Röntgenbild zu blicken und erklären Sie die Lage. Das entspannt und bindet den Patienten in den Bera-tungsprozess ein. Wenn es um kostspieligere und aufwendigere Zahnsanierungen geht, an denen auch Ihre Praxis einen größeren Nutzen hat, werden Sie Ihrem Patienten einen Kostenvoranschlag erstellen. Ein guter Verkäufer investiert die Zeit, den Patienten zur Besprechung desselben nochmals in die Praxis einzuladen. Hier empfiehlt es sich, nicht im Behandlungs-zimmer, sondern am besten in einem Büro an einem Besprechungstisch Platz zu nehmen und gemeinsam die Kalkulation und den Behandlungsplan durchzugehen. Zeigen Sie Optionen auf, diskutieren Sie Alternativen und finden Sie heraus, welches Hauptmotiv Ihren Patienten antreibt. Nur dann können Sie ihn effektiv beraten und ein maßgeschneidertes Behand-lungskonzept verkaufen, je nach Geldbeutel und Investitionsbereitschaft.

    Verkaufen heißt, Argumentationstechniken anzuwenden

    Eine der wesentlichen Fähigkeiten beim Verkaufen ist die Fähigkeit, geschickt zu argumentieren. Argumen-te sind insbesondere dann überzeugend, wenn Sie Ihre Empfehlungen nachvollziehbar und anschaulich begründen und geeignete Beispiele finden, die möglichst aus dem Erfahrungsbereich Ihres Gegenübers stammen. Am stärksten wirkt ein Argument, wenn Sie in Ihrer Argumentation den Nutzen für Ihr Gegenüber betonen. Und der kann je nach Patient sehr unterschiedlich ausfallen. Daher besteht die Kunst darin, das Motivsystem Ihres Patienten schnell und präzise zu erfassen. Was überzeugt ihn am meisten? Sind es ästhetische Überlegungen oder vielleicht sogar Status- und Reputationsgedanken, die ihn antreiben? Will er die innovativste oder eine eher konventionelle Lösung? Ist es die Investition in einen langfristigen und dauerhaften Zahnersatz? Legt der Patient Wert auf solide Qualität bei den Materialien? Vertraut er nur auf deutsche Laborleistungen oder würde er auch zugunsten des besseren Preises Laborleistungen aus dem Ausland in Kauf nehmen? Ist er ängstlich? Es gibt zahlreiche Ansatzpunkte, die uns beim Argumentieren helfen. Entscheidend ist, dass ich meinen Patienten argumentativ dort packe, wo er am sensibelsten ist. Das erfordert etwas Menschenkenntnis und natürlich auch die Fähigkeit, durch geschicktes Nachfragen den Wünschen und Bedürfnissen, aber auch Vorbehalten auf den Grund zu gehen. Es gibt unendlich viele Argumentationstechniken, die man sich systematisch aneignen kann, entweder durch gezieltes Training oder durch die Lektüre entsprechender Ratgeberliteratur. Doch wenn Sie sich zunächst auf die Frage konzentrieren, was Ihrem Patienten am meisten nutzt, haben Sie argumentativ schon viel richtig gemacht.

    Verkaufen heißt, psychologische Grund-prinzipien zu nutzen

    Unser Gehirn ist in Sachen Manipulierbarkeit recht anfällig, da wir gewisse Denkmuster und Verhaltensweisen recht zuverlässig prognostizieren und sie uns somit im Verkaufsgespräch zunutze machen können. Dazu gehört zum Beispiel die Tatsache, dass wir uns lieber von sympathischen als von unsympathischen Menschen überzeugen lassen. Zudem vertrauen wir Menschen, die eine gewisse Autorität, Führungsfähigkeit und Kompetenz ausstrahlen, auch wenn wir dieselbe nicht beurteilen können. Gerne entscheiden wir uns so, wie sich auch andere entschieden haben, denn die Masse kann ja nicht irren, und wir lassen uns zu einer schnellen Entscheidung hinreißen, wenn uns jemand dringlichen Handlungsbedarf suggeriert. Interessant ist auch, wie stark das menschliche Bedürfnis nach Konsistenz im eigenen Verhalten ist. Auch das kann man im Verkaufsgespräch sinnvoll nutzen. Entlocken Sie Ihrem Patienten einfach zu Beginn der Beratung eine Zustimmung in Bezug auf eine allge-meingültige Aussage, die mit Ihrer Behandlungsabsicht in Verbindung steht und bekräftigen Sie diese Zustimmung mehrmals. Menschen distanzieren sich nur ungern von vorher getroffenen Standpunkten. Im Gegenteil: Sie bleiben bei ihrer ersten Entscheidung und bestärken diese, um nicht als unglaubwürdig zu erscheinen. So können Sie die Entscheidung Ihres Patienten auf dem vorher getroffenen Commitment aufbauen. Dieses Prinzip ist auch sehr gut anwendbar, um die Compliance des Patienten, also die Zusammenarbeit, nachhaltig zu beeinflussen. Auch kleine Vorleistungen und Entgegenkommen von Ihrer Seite haben eine psychologische Wirkung: Sie verpflichten Ihr Gegenüber zur Gegenleistung. Das können Sie auch an Ihrem eigenen Verhalten nachvollziehen. Denn wenn Sie beispielsweise einer Einladung zum Essen gefolgt sind, fühlen Sie sich irgendwie verpflichtet, im Anschluss die Gegeneinladung auszusprechen, um unserem inneren Bedürfnis der Reziprozität zu folgen. Diese psychologischen Grundprinzipien sind durchaus hilfreich, wenn Sie ein guter Verkäufer sein wollen.

    Verkaufen heißt, mit dem „Käufer“ in Kontakt zu bleiben

    Man könnte die Reihe an Verkaufstechniken sicher noch unendlich erweitern, doch kommen wir zum Schluss noch zu einer Verkaufstechnik, die im Alltag gerne hinten ansteht: das After-Sales. Hier geht es darum, den Kontakt zum Patienten aufrechtzuerhalten. Gerade die Patienten, die eine aufwendigere Behandlung in Anspruch genommen haben, freuen sich beim Kontrolltermin über Nachfragen zum Behandlungserfolg oder zur Schmerztherapie. Je nach Fall bieten sich diese Termine auch für den Nachverkauf von weiteren Behandlungen an. Sollte der Fall eintreten, dass der Patient mit dem Ergebnis und Ihrer Arbeit nicht ganz zufrieden ist, ist es umso wichtiger, dass Sie sich viel Zeit für ihn nehmen und seinen Beschwerden lösungsorientiert und besonders aufmerksam begegnen. Denn sollte ein unzufriedener Patient mal seiner Wut im Internet Luft gemacht haben, ist der Schaden gewaltig. Ein regelmäßiger Blick in etwaige Bewertungsportale im Internet wie bei google.de oder jameda.de sollte zu Ihren Aktivitäten gehören, um nachhaltig an Ihrem guten Ruf zu arbeiten und schädliche Eintragungen rechtzeitig zu bemerken und ihnen entgegenzuwirken.

    Ehrlich währt am längsten

    Bei allen Verkaufstechniken und Akquisitionsstrategien sollten Sie sich dennoch immer an Ihr eigenes Wertesystem halten. Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit im Umgang mit den Patienten zahlen auch immer auf das Konto einer langfristigen Patientenbeziehung ein. Daher nutzen Sie oben genannte Methoden nicht, um möglichst viele Behandlungen zu erwirken, sondern raten Sie den Patienten ruhig von unnötigen Eingriffen ab. Damit investieren Sie in Ihre eigene Glaubwürdigkeit und in das Vertrauensverhältnis zu Ihrem Patienten.

    Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Verkaufen ist kein Makel und keine unangenehme Pflicht, sondern eine wunderbare Chance, Patienten glück-lich zu machen und dabei selbst zu profitieren.

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  • 01.02.2013 | Vorsicht Fettnapf!

    Eine kleine Bewusstseinsschärfung für den Kommunikationsalltag

    „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Es gibt wohl kaum eine Aussage über die Kommunikation, die so einprägsam ist und die Sache derart auf den Punkt bringt, wie die des großen Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick. Doch wenn man diesem Satz ein wenig nachspürt, dann könnte er fast beängstigende Züge annehmen. Denn wenn man nicht nicht kommunizieren kann, dann bedeutet das ja, dass wir quasi permanent auf Sendung sind, auch wenn wir gerade vielleicht gar nichts sagen wollen.

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  • 01.12.2012 | Von der Vision zur Wirklichkeit

    wie man eine Praxiskultur (er)schafft

    Der Zahnarzt als Unternehmer sollte Visionen haben: von seinen Zielen, vom Zweck seiner Arbeit und von der Atmosphäre in seiner Praxis. Daraus wird er für sich und für alle anderen Mitglieder des Praxisteams Verhaltensweisen ableiten. Wie der Zahnarzt ein solches Leitbild, das seine Praxis erfolgreich werden lässt, entwickelt und im Alltag mit dem Team umsetzt, erläutert im Folgenden die Kommunikationsexpertin Constanze Eich.

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  • 01.03.2009 | Chefsache

    Den Traum von der perfekten Führungskraft mag so mancher Angestellter träumen

    Den Traum von der perfekten Führungskraft mag so mancher Angestellter träumen – ist doch das Verhältnis Chef-Mitarbeiter häufig alles andere als optimal.

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  • 01.06.2008 | Kommunikation ist alles

    Der Zahnarzt als Dienstleister

    Früher war die Welt noch in Ordnung. Da schlüpfte man in den weißen Kittel, zog sich die bequemen Gesundheitsschuhe an und tauchte ein in eine völlig andere Welt.

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